*2003 – 2016

Dass ich diesen Beitrag ernsthaft verfasse, will und will nicht in meinen Kopf gehen. Es scheint so unrealistisch und so weit weg. Wenn ich runter gehe ins Wohnzimmer, liegt sie bestimmt auf der Couch. Aber das tut sie einfach nicht. 13 Jahre Kira sind vorbei.

Ich denke immer, dass es niemanden auf dieser Welt gab, der sich mehr einen Hund gewünscht hat, als ich. Meine Eltern hatten beinahe eine Krise, weil ich ihnen so auf den Geist gegangen bin, nachdem eine Nachbarin weggezogen ist, deren Hund ich 3 Jahre lang spazieren geführt habe. Jacky. Foxterrier Glatthaar. Jackys Frauchen Gaby wollte mir Jacky bereits schenken, aber auch das war nicht mit meinem Vater zu vereinbaren. Meine Mutter hat sich irgendwann sehr intensiv für mich eingesetzt, weil sie gesehen hat, wie ernst es mir war und so sollte ich, als wir zum Familienbesuch in Polen waren zu meinem 15. Geburtstag meinen eigenen Hund bekommen. Meine Patentante hatte zu dem Zeitpunkt einen Berner Sennenhund Welpen und so war mein Vater auch irgendwie einigermaßen eventuell ein bisschen positiv gestimmt, was die Anschaffung eines Hundes anging. Wir hatten 5 Tage Zeit, einen Hund zu finden. Ich hatte Angst, dass die Stimmung meines Vaters, einmal in Deutschland angekommen, kippen könnte, und so musst es sofort geschehen. Wir mussten DIREKT einen Hund organisieren. Meine Tante trommelte sämtliche Leute zusammen und alle sollten Ohren und Augen aufhalten. Es musste ein Foxterrier Glatthaar Welpe her. In Raciborska Dolina lag ein Wurf Welpen. Diese Welpen waren sage und schreibe schlappe 5 Wochen alt. Es war ein „Unfall“- Wurf, und der „Züchter“ sicherlich ein Mensch, von dem man keinen Hund kaufen sollte. Die Hunde lebten in ihren Zwingern, es waren Huskies, Rottweiler, Deutsche Schäferhunde und 2 Zwinger Foxterrier Glatthaar Hunde vor Ort. Lustige taubenartige Vögel tummelten sich auf dem Hof und die Welpen, die uns entgegen kamen, als der Zwinger geöffnet wurde, waren alle braun. Die Enttäuschung war sooo groß. Jacky war ein schwarzer Fox, und so sollte meiner auch werden. Der „Züchter“ sagte, das sei alles, was er momentan habe. Sehr interessant, denn nach einigen Minuten kam Kira aus dem Zwinger als letztes herausgewatschelt. Oh, sieh mal einer an. Doch ein schwarzer bei. Ich habe sie auf den Arm genommen, und versucht zu ignorieren, wie sie riecht, wie ihre Augen verklebt sind und wie viel Kot noch an ihrem Hintern hing. Es wurde sofort verhandelt, denn das macht man so mit Ware. Kira würde auf jeden Fall deutlich mehr kosten, als der Rest, weil sie ja die einzige in der Farbe ist. Meine Mutter wollte den Hund nur bezahlen, und abhauen, mein Vater wollte diesen offensichtlich nicht gesunden Welpen aber nicht mitnehmen. Ich hatte sie auf dem Arm und wollte nur noch weg. Aber mein Vater stand uns im Weg. Meine Tante hat ihn angefleht, vor Ort, vor versammelter Mannschaft. Meine Mutter, mein Vater, meine Schwester, meine Tante, mein Onkel, meine Cousine, mein Cousin. Dieser Mann, dem die Hunde gehörten und ich. Ich habe ihm Kira in die Hand gedrückt. Er hat sie auf seinen Bauch gesetzt und sie genau inspiziert. In dem Moment hat sie hochgeschaut und ihm über die Nase geschleckt. Schweißgebadet hat er sie mir zurück in die Hand gedrückt und sagte: „Lasst uns diesen Köter mitnehmen und abhauen. Ich brauche ein Bier.“ Meine Mutter hat Kira bezahlt und wir waren weg. Kira_003

Im Auto dann schien es einen neuen Sinneswandel zu geben. Mein Vater war auf einmal total happy und beteuerte meiner Mutter, wie glücklich er sei, mit ihr, zwei gesunden Kindern und diesem. Hund. Alles war gut. Ich hatte mein soooo lang herbeigesehntes Ziel erreicht. Nachdem wir die Würmer und alle anderen Unannehmlichkeiten, die Kira so hatte, los waren, schien es mir, als wollte sie nicht wachsen. Das einzige, das größer wurde, waren die Ohren, weil sie begannen, sich aufzustellen, und die Nase. Die wurde immer spitzer. Kira hatte einfach nichts von dem, was ich so an Jacky geliebt habe. Nur die Farbe. Aber sonst nichts. Ich war lange enttäuscht, gab es in meiner Clique damals nur Husky und Schäferhund- Mixe. Na und dann Kira, die immer ausgelacht wurde, weil sie kleiner war, als der Fußball von Andy, und Jan hat immer gefragt, wann ich die Batterien mal wechsel. Andere nannten sie „Catdog“, weil sie klein war und so spitze Ohren hatte, wie eine Katze. Kira_012

Sie ist nicht besonders gut gefolgt, so wie man es von Welpen kennt, sie war immer sehr auf ihr eigenes Ding bedacht und durfte im Bett schlafen, hat Essen von allen am Tisch bekommen, ihr voll gefüllter Napf stand ihr ebenfalls immer zur Verfügung und draußen wurde Gehorsam vorausgesetzt. Nicht antrainiert oder gutes Verhalten bestätigt. Nein, ein Hund hat doch zu hören! Ich war der totale Anfänger und meine Eltern waren eigentlich raus aus der Nummer. Es gab keine großen Probleme und außerdem war es ja mein Hund. Es hat wirklich ewig lange gedauert,  bis wir einigermaßen miteinander zurecht kamen. Ich habe mit ihr den Hundesport begonnen, weil der Gedanke für mich, mit einem Hund als Team zu agieren, einfach so unbeschreiblich schön war. Wir haben ewig lange für die BH gebraucht, trainiert wurde damals einmal wöchentlich auf dem Hundeplatz und das wars. Deswegen haben wir neben dem Agility auch THS begonnen, weil ich unbedingt auf Turniere mit ihr gehen wollte und eine BH damals im THS noch keine Voraussetzung war. Kira und ich waren einfach immer zusammen. Wir sind mit dem Bus in die Stadt gefahren, um von dort den Zug nach Ahlen zu nehmen, um von dort 25 Minuten zum Hundeplatz zu laufen um dort dann eine Stunde zu trainieren und den ganzen Weg wieder zurück nach Hause zu nehmen. Wir sind Inliner gefahren, Fahrrad, wir waren gemeinsam schwimmen, haben gezeltet, sind verreist. Kira_046

Ihre Vorderpfoten haben ihr recht früh Probleme bereitet und kein Arzt hat jemals herausgefunden, was genau das Problem eigentlich war. Wir haben sie auf Pilze untersucht, wir haben mit Vitaminen und Zusätzen versucht, die Haut aufzubauen, wir haben eine Entzündung herbeigewünscht, um aus dieser spezielle Antikörper nur für Kira und ihr Problem zu entwickeln, wir haben in Lauge gebadet, wir haben auf Fremdkörper untersucht. Irgendwann war der Verdacht auf Arthrose da, durch welche es zu einer Fehlbelastung kommen sollte, durch welche sie sich die Ballen so wund laufen sollte. Das war nicht der Fall, allerdings wurde im Röntgen klar: Die Kira hat Spondylosen. Ich glaube das war bereits 2007. Seitdem habe ich sie aus dem aktiven Sport heraus genommen und nur noch nebenbei trainiert. Ich dachte mir immer, es sei für sie so schöner, wenn sie dem, was sie so gerne tut, noch nachgehen kann, anstatt dass ich ihr alles vorenthalte, nur weil sie belastet ist. Nach einer gewissen Zeit war aber klar, dass das gar nicht mehr lange möglich war. Ständig hatte sie Schmerzen, ständig wollte sie nicht mehr laufen und ihre Bewegungsfreude und generell der Spaß an allem haben sehr stark abgebaut. Selbst die Amputation des einen Ballen, der ihr die meisten Probleme bereitet hat, hat nichts gebracht. Kaum war der weg, waren die anderen Ballen genauso befallen. Kira_296

Rückblickend habe ich das Gefühl, dass meine aktive Zeit eher kurz war mit Kira. Ich erinnere mich heute kaum noch daran, wie sie geflitzt ist, ihrem geliebten Ball hinterher, oder wie ich mit ihr auf einem Turnier gestartet bin. Wie sie am Fahrrad gerannt ist. Obwohl sie erst seit Freitag nicht mehr da ist, sind diese Bilder schon so lange blass. Seit einer geraumen Zeit habe ich sie im Kinderwagen durch die Gegend geschoben. Da ich seit 2006 immer andere Hunde neben Kira hatte, sehr aktive Hunde, wollte ich sie nicht ausschließen; das Tempo konnte sie aber nicht mehr mithalten. Nach meinen Chemos 2012 weiß ich, dass sie noch ein paar Mal geflitzt ist. Aber danach hat sie immer mehr und mehr abgebaut. In der letzten Zeit wollte sie auch nicht mehr unbedingt mit uns raus. Es war immer so ein zweischneidiges Schwert: Nehme ich sie raus in den Garten und spiele mit ihr, ist sie am nächsten Tag steif und hat Schmerzen. Tue ich das nicht, macht Kira gar nichts, was schlecht ist für die Muskulatur und für mein Gewissen. Kira_287

Kira hat alle Hunde, die ich nach Hause geschleppt habe, ertragen. Meinen ersten Sheltie Skylight. Meinen zweiten Sheltie Joulean. Nino. Flora. Lane. Polly. Sogar Alanis hat sie am Ende noch ertragen, nachdem sie ihr zweimal gesagt hat, dass sie zwar alt ist, und schlecht sieht und hört, ihr aber nicht auf den Sack zu gehen ist, weil sie immer noch der Boss ist. Kira war ein Hund, der durch einfache Anwesenheit eine so souveräne, klare Ausstrahlung hatte, dass KEINER das in Frage gestellt hat. Nicht mal Polly. Sie hat Jahre lang mit mir im Bett geschlafen, in meinem Arm. Immer in der selben Position. Es schien, als sei ihr Körper auf meinen abgestimmt. Sie hat mir immer alle meine Fehler verziehen, alle Leute gemocht, die ich mochte und all diejenigen, die ich nicht mochte, auch nicht gemocht. Sie war nie nachtragend. Wenn ich ihr auf den Sack gegangen bin, hat sie sich beschwert und ist dann einfach gegangen. Ihr eigenes Ding eben. Früher haben immer alle gesagt, dass sie genau der richtige Hund für mich sei. Ich fand das immer total blöd und wollte eher einen Hund, der mehr von sich aus kooperiert und sich vor allem mehr an mir orientiert. Deswegen habe ich mir einen Sheltie gekauft. Und dieser wiederum hat mich belehrt, dass alles, was ich wirklich wollte, bereits schon lange da war. Kira war wirklich nicht der Hund, den ich mir am Anfang vorgestellt habe. Aber sie war genau der Hund, den ich brauchte und der das richtige für mich war. Fast mein halbes Leben hat sie mich begleitet und es geht und geht nicht in meinen Kopf rein, dass ich sie nie wieder anfassen kann. Nie wieder auf die Wiese trage und ab jetzt nur noch 3 Gute- Nacht- Küsschen verteile. Man denkt, man ist irgendwie vorbereitet. Aber wie kann man sich bitte auf sowas vorbereiten? Kira_515

Ich habe immer gesagt, dass ich sehr viel Angst davor habe, den „Punkt“ zu verpassen. Letztendlich war es so, dass ich 3 Tage hatte und am Donnerstagabend bereits gespürt habe, die Zeit ist rum. Sie war schon lange inkontinent, allerdings hat dies in den letzten 2 Wochen noch einmal akut zugenommen. Das war aber okay, wir hatten spezielle Decken, zur Not eine Windel usw. Hätte sie ihren Stuhl nicht mehr halten können, wäre das was anderes gewesen. Das war immer das, was ich mir gesagt habe. Dann hätte ich mich fragen müssen, wie lebenswert ein solches Leben noch ist, wenn der Hund sich selbst einscheißt. Am Donnerstagabend habe ich sie mit rausgenommen und sie hat nichts gemacht, obwohl sie zuletzt vormittags draußen war. Einen Tag zuvor habe ich sie bereits mit nach oben genommen und es ihr unter meinem Bett gemütlich gemacht, damit sie nicht in dem Trubel von Alanis und Polly rumliegt und einfach ihre Ruhe hat. An der Art und Weise, wie sie sich hingelegt hat, wusste ich es. Ich habe es einfach gesehen. Kira, und ein alter Bekannter lagen unter meinem Bett. Die Decken waren alle so nass wie noch nie, und. Es lag Kot drauf. Meine Grenze war überschritten. Freitagmorgen um 7 stand sie unterm Bett, sie stand einfach, und schwankte. Es schien, als sei ihr schwindelig. Sie war einfach wackelig auf den Beinen. Um 8 kam Serena, mit der ich eigentlich trainieren wollte. Ich habe das Training am Vorabend schon abgesagt, weil ich mit Kira zum Arzt wollte. Als Serena da war, war Kira bereits nicht mehr anwesend. Sie reagierte weder auf Ansprache noch auf Berührung. Zusätzlich hatte sie einen Nystagmus und hielt den Kopf schief. Ich bin keine Medizinerin, aber ich kenne es von meinen Ratten. Irgendwann weiß man einfach, wie ein Schlaganfall aussieht. Sie hatte bereits eine sehr niedrige Temperatur und nachdem wir die Notfallnummer gewählt haben, sind wir unverzüglich mit ihr zum Arzt. Das Herz hat nur noch schwach geschlagen, der Kreislauf war so hinüber, dass der Zugang für die Spritze kaum gelegt werden konnte und ich habe keinen Unterschied nach der Narkose gemerkt zu dem Zustand, in dem wir sie dort hinbrachten. Als der Arzt sagte, dass wir sie nur noch Erlösen können, dachte ich, dass ich auf Anhieb zusammenbreche. Mir ist so schlecht geworden. Ich bin so dankbar, dass Serena dabei war und mich aufgefangen hat, und mir gesagt hat, dass es das einzig richtige ist. Ich wusste es selbst, aber man will es nicht wahrhaben. Kira war nicht mehr da. Ein letzter Kuss auf die Stirn, und der letzte Atemzug. Durch dick und dünn. Kira und ich haben alles gemeinsam gemacht. Kira_036